Grenzwert der geringen Menge bei Betäubungsmitteldelikten

Bundesgerichtshof, Urteil vom 8.11. 2016 – 1 StR 492/15
Für das Betäubungsmittelstrafrecht ist der Grenzwert der geringen Menge eines Betäubungsmittels von enormer Bedeutung. Sie entscheidet bei § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 BtMG in vielen Fällen über die Strafbarkeit. Bei der geringen Menge handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Dieser ist durch Auslegung zu konkretisieren. Da im Geltungsbereich des Grundgesetztes der Bestimmtheitsgrundsatz gilt, der gerade im Strafrecht besondere Bedeutung genießt, bedarf es für die Strafbarkeit aber genauer Grenzwerte.
Der Gesetzgeber hat dabei keine Festlegung getroffen und stattdessen der Praxis und Lehre überlassen für die verschiedenen Betäubungsmittel Werte zu ermitteln. Dies geschieht in der Regel durch das Hinzuziehen von Sachverständigen. Anhand der Gefährlichkeit des spezifischen Betäubungsmittels wird dann ein Grenzwert bestimmt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Gefährlichkeit stets die konkrete Wirkungsweise und Intensität des Betäubungsmittels ausschlaggebend.
Maßgeblich sei zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Sofern diese nicht feststellbar sei, komme es auf das Vielfache der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten an. Scheitert diese Methode, berechne sich der Grenzwert anhand des Tagesbedarfs. Letzte Methode zur Bestimmung ist der Vergleich zu ähnlichen Betäubungsmitteln.
Im konkreten Fall hatte ein Angeklagter Schlafmohnkapseln in Österreich für sich und einen weiteren Angeklagten erworben. Später fanden sich bei einer Durchsuchung in der Wohnung des ersten Angeklagten 32,4 kg des Betäubungsmittelns sowie 42,4 kg in der Wohnung des zweiten Angeklagten. Die Vorinstanzen hatten den Grenzwert für besagte Schlafmohnkapseln analog zu Opium ermittelt, da Schlafmohnkapseln opiumähnlich seien. Bei Opium liegt der Grenzwert bei 6 g Morphinhydrochlorid und 15 g Codeinphosphat. Zusätzlich wurde eine Analogie zu Morphin angedacht, bei dem der Grenzwert bei 4,5 g Morphinhydrochlorid liegt. Die Vorinstanzen folgerten, dass die geringe Menge somit in jedem Fall überschritten sei. Denn die Schlafmohnkapseln enthielten 569 g Morphinhydrochlorid und 97,8 g Codeinphosphat, die jeweils deutlich oberhalb des vermeintlichen Grenzwertes lagen.
Der Bundesgerichtshof lehnte beide Analogien ab und bestimmte einen eigenen Grenzwert für Schlafmohnkapseln. Dieser wurde für Morphinhydrochlorids in Schlafmohnkapseln nach eingehender sachverständiger Analyse auf 70 g festgesetzt.