Pflege-Kompromiss völlig untauglich

(ddp direct)Pflegehilfe aus Polen oder doch lieber Heimunterbringung für viele Angehörige Pflegebedürftiger stellt sich die Frage, wie sie eine 24 Stunden Betreuung, die Menschen mit der Pflegestufe 3 benötigen, organisieren sollen.
Denn 24 Stunden Pflege ist in Deutschland mit immensen Kosten verbunden. Und nicht jeder kann es sich leisten, seinen Beruf aufzugeben, um Hilfebedürftige zuhause zu versorgen. Als Alternative käme nur die Heimunterbringung infrage. Daran wird auch der neue Pflegekompromiss nichts ändern.

Pflegereform oder Pflegekompromiss?
Speziell im Hinblick auf die wachsende Zahl Demenzkranker sollte die Pflegereform 2011 Verbesserungen bringen. Stattdessen lässt sich der vorliegende Gesetzesentwurf nur als Pflegekompromiss bezeichnen. Er sieht eine Anhebung des Pflegeversicherungsbeitrags um 0,1 % vor. Als Anreiz für den Abschluss einer Pflegezusatzversicherung sollen steuerliche Fördergelder fließen. Doch eine wirkliche Verbesserung lässt sich bei einer 24 Stunden Pflege damit nicht erreichen. Im Gegenteil wird sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnen. Und auch Menschen mit chronischen Leiden oder Behinderungen werden dadurch noch stärker von notwendigen Leistungen ausgeschlossen, da eine Zusatzversicherung für sie kaum abschließbar ist.

Hilfsbedürftigkeit der Helfer versus erfolgreiches Case-Management
In Deutschland werden mehr als die Hälfte der Pflegebedürftigen über 65 Jahre zuhause betreut. Meistens von weiblichen Angehörigen, die aufgrund des hohen Pflegeaufwands auf andere berufliche Beschäftigungen weitgehend verzichten. Damit sinken auch ihre eigenen Chancen, sich im Alter die Pflege leisten zu können, die notwendig und erwünscht ist. In den Nachbarländern sieht es nicht besser aus. Doch zeigen erste Veränderungen aus den Niederlanden und Österreich, das speziell die Verbesserung eines um individuelle Lösungen bemühten Case-Managements erhebliche Veränderungen bringen könnte, ohne dass die Kosten weiter explodieren.

Alternativen in der häuslichen Pflege
In Deutschland setzt man stattdessen nun auf einen Ausbau privater Absicherung, der speziell für Geringverdiener kaum leistbar ist. Dabei bestehen auch hier bereits Möglichkeiten, eine kostengünstige und personenzentrierte ambulante 24-Stunden-Pflege anzubieten. Etwa durch private Dienstleister, die Pflegekräfte aus Polen anwerben und diese legal und sozialversicherungspflichtig beschäftigen. Doch über den Ausbau solcher Pflegeangebote wird öffentlich kaum nachgedacht. Auch eine steuerfinanzierte Altenpflege, wie sie im skandinavischen Raum längst praktiziert wird, bleibt ein Tabu.

Finanzierbarkeit als privates Risiko?
Eine Verschiebung des Pflegerisikos in den Bereich der privaten Absicherung kann keine politisch ernst gemeinte Lösung sein. Im Gegenteil ließe sich fragen, warum Steuergelder für die Finanzierung von Privatversicherungen genutzt werden können, nicht aber zur Unterstützung des Solidarprinzips oder von Maßnahmen der häuslichen Pflege. Soll die aktuelle Pflegereform allen Betroffenen zugutekommen oder soll sie nur denen nützen, die ohnehin finanziell besser gestellt sind? Oder dient sie gar als Anschubleistung für Anbieter von Privatversicherungen? Die aktuellen Vorschläge zur Pflegereform lassen vermuten, dass hier vorschnell auf Kompromisse gesetzt wurde. Die tatsächlich notwendigen Reformen werden zulasten von chronisch Kranken und Geringverdienern verschoben. Den Menschen, die aktuell Angehörige pflegen und allen, die bereits ein Alter erreicht haben, in dem sich keine zusätzliche Absicherung mehr aufbauen lässt, ist damit ebenfalls nicht geholfen. Eine Pflegehilfe aus Polen, die die 24 Stunden Betreuung übernimmt, scheint für all diese Menschen daher nach wie vor die bessere, da kostengünstigere Lösung.

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Werner Tigges
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