Vom Entwicklungs- zum Abwicklungsministerium

Berlin (pressrelations) –

Vom Entwicklungs- zum Abwicklungsministerium

Zum entwicklungspolitischen Teil des Koalitionsvertrages und zum designierten Minister fuer wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erklaert der entwicklungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Sascha Raabe:

Es ist ein schlechter Witz, dass diejenigen, die sich immer lautstark fuer die Abschaffung des Entwicklungsministeriums ausgesprochen haben, jetzt dieses Haus uebernehmen. Es ist zu befuerchten, dass Dirk Niebel kein Entwicklungs- sondern ein Abwicklungsminister sein wird, der lediglich seinem Chef im Auswaertigen Amt (AA) den Ruecken freihalten und das Ministerium nur noch als Aussenstelle des AA fuehren soll. Mir tut es Leid fuer die vielen engagierten Mitarbeiter des Entwicklungsministeriums, die in den letzten Jahren eine tolle Arbeit gemacht haben.

Das bislang starke und eigenstaendige Ministerium fuer wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird durch die nun bekannt gewordene Besetzung ganz klar geschwaecht. Das Ressort, dass in den letzten gut zehn Jahren immer mehr an Bedeutung und internationalem Ansehen gewonnen hat, wird nun von einem Mann angefuehrt, der keinerlei entwicklungspolitische Expertise besitzt und der sich bislang – wenn ueberhaupt – nur abfaellig ueber die Entwicklungszusammenarbeit geaeussert hat.
Seine Anfang des Jahres geaeusserte Kritik an der damaligen Entscheidung der Bundesregierung, im Rahmen der Konjunkturpakete auch 100 Millionen Euro fuer dringend notwendige Krisenmassnahmen der Weltbank in Entwicklungslaendern zur Verfuegung zu stellen, zeugte jedenfalls von einem grossen Unverstaendnis entwicklungspolitischer Zusammenhaenge. Es ist sehr bedauerlich, dass der deutschen Entwicklungspolitik ihre starke und kompetente Stimme abhanden gekommen ist.

Abgesehen von der Personalentscheidung laesst der entwicklungspolitische Teil des Koalitionsvertrages auch inhaltlich nichts Gutes erahnen. So wird das Zwischenziel des ODA-Stufenplans von einem Anteil oeffentlicher Mittel fuer Entwicklungszusammenarbeit von 0,51 Prozent am Bruttonationaleinkommen fuer 2010 ueberhaupt nicht erwaehnt, das 0,7-Prozent-Ziel wird lediglich ohne einen Zeitpunkt genannt.
Das laesst den Schluss zu, dass sich die neue Bundesregierung um feste Zusagen druecken und den internationalen Verpflichtungen nicht nachkommen will. Dies laeuft allen frueheren Zusicherungen der Bundeskanzlerin zuwider.

Fatal fuer die Entwicklungslaender ist zudem, dass sich die FDP offenbar mit ihren Vorstellungen zur Freihandelspolitik im Aussenwirtschaftsteil des Koalitionsvertrages durchgesetzt hat.
Wenn das, was jetzt zu Papier gebracht wurde, umgesetzt wird, dann haben Entwicklungslaender demnaechst ueberhaupt keine Chance mehr, ihre heimischen Maerkte zu schuetzen. Die Politik der voelligen Marktoeffnung waere das Todesurteil fuer die nachhaltige Entwicklung der so wichtigen regionalen Maerkte.
Eine solche marktradikale Politik nuetzt lediglich multinationalen Konzernen bei der Profitmaximierung – fairer Welthandel sieht anders aus. Die geforderte Oeffnung der Maerkte waere insbesondere fuer die Kleinbauern und die Landwirtschaft in Entwicklungslaendern eine Katastrophe, weil sie mit den hoch subventionierten Produkten aus den Industrielaendern nicht mithalten koennen. Aber auch im Aufbau befindliche
Dienstleistungs- und Industrieunternehmen brauchen noch solange einen angemessenen Schutz, bis sie international wettbewerbsfaehig sind. CDU/CSU und FDP wollen zurueck in die marktradikalen Konzepte der 90er Jahre, die Hunger und Armut bis heute zementiert haben.

Geradezu erschreckend ist es, dass zwei Parteien, die das christliche „C“ im Namen tragen, kuenftig eine Politik mittragen wollen, die entwicklungspolitische Entscheidungen von Interessen der deutschen Wirtschaft abhaengig macht. Die Festlegung, dass Auftraege von Entwicklungsorganisationen kuenftig nicht mehr vor Ort, sondern verstaerkt an deutsche Unternehmen vergeben werden sollen, ist ein herber Rueckschlag in den Bemuehungen der letzten Jahre, eine eigenstaendige Wirtschaftsstruktur in den betroffenen Laendern aufzubauen.

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