Der Bierdeckel

Zu Beginn sei erläutert, wie ein Untersetzer zu einer landläufigen Bezeichnung als Deckel kommt. Der Bierdeckel schlechthin ist ja bekannt in seiner Hauptfunktion als tropfenfangender Untersetzer zur Schonung des verwendeten Mobilars beim Biergenuss. Diese Funktion hatte der Deckel schon seit jeher inne, wurde aber bis Ende des 19. Jahrhunderts nach seinem verwendeten Material als „Bierfilz“ bezeichnet. In seiner Geschichte wurde Bier nun aus den verschiedensten Gefäßen konsumiert, während der Zeit der Bierfilze insbesondere aus den sogenannten Seideln. Die gehobene Gesellschaft hatte dabei den Luxus, dass sich auf deren meist kunstvollen Bierseideln bereits „ab Werk“ ein Deckel aus Zinn oder sogar Silber befand. Diese Deckel ließen sich meist oberhalb am Griff mit einem beherzten Daumendruck öffnen und sanken, wenn man diese nicht in einen Anschlag brachte, durch das eigene Gewicht wieder zum Verschließen auf den Seidel zurück. So wurde das Getränk optimal gegen das Eindringen von ungewollten Fremdkörpern geschützt. Besonders in der Biergartensaison war diese Erfindung sehr nützlich, weil dadurch so allerlei Insekten und Baumfrüchte am Ertrinken im Bier gehindert wurden. Allerdings gab es auch nicht so betuchte Biertrinker, welche sich den Luxus eines solchen Seidels nicht erlauben konnten. Diese behalfen sich damit, den Bierfilz einfach zweckzuentfremden und kurzerhand als Schutz auf das Bierglas obenauf zu legen. Dieses Verfahren war sicher nicht sonderlich hygienisch und bei weitem nicht so komfortabel wie die eingebaute Lösung. Aber dieser populäre Notbehelf sorgte letzten Endes dafür, dass der Bieruntersetzer fortan als Bierdeckel bezeichnet wurde. Und das bis in die heutige Zeit.

Dass der Begriff „Bierfilz“ durch den „Bierdeckel“ sprachgebrauchlich ersetzt wurde, hat aber auch noch einen anderen Grund. Die reinen Filzlederchen oder Filzläppchen wurden wegen der Herstellungstechnik und aus hygienischen Gründen allmählich durch maschinell gefertigte Holzfilzplatten bzw. sogenannte Faserguss-Untersetzer ausgetauscht. Es gab nur sehr wenige Produzenten, welche sich auf die alsbald vollautomatisierte Herstellung solcher Untersetzer spezialisierten. Bereits damals entwickelte sich eine gewisse Normgröße, welche fast exakt, zumindest bei der klassischen runden Variante, bis heute Bestand hat. Der Durchmesser beträgt 110 Millimeter, wobei die Mindestdicke bei 4, die gängige Dicke bei 5 und die stärkste bei etwa 8 Millimetern liegt. Dies ist bei Getränkeuntersetzern als Quasi-Standard anzusehen und hat sich in der gesamten Gastronomie durchgesetzt.

Berechnen wir also die Fläche nach Pi Viertel d Quadrat, so erhalten wir bei korrektem Eintippen in den Taschenrechner das Ergebnis von 0,0095 Quadratmetern oder 95 Quadratzentimetern. Die Berechnung geschieht nicht ganz ohne Grund. Der Bierdeckel wird ja schon längst nicht mehr nur als Fänger für das Kondenswasser am kühlen Bierglas verwendet. Viele Wirte schreiben darauf immer noch urkundlich einwandfreie Rechnungen, unzählige Sammlervitrinen sind voll mit exotischen Exemplaren und womit sollten Kinder sich sonst die Langeweile vertreiben beim Warten auf das bestellte Essen im Restaurant?! Doch für all diese Dinge ist die Fläche nicht so entscheidend. Eher für den genialen Steuerreformvorschlag eines CDU-Politikers im Jahre 2003. Dieser wollte für den gemeinen Bürger eine Steuererklärung schaffen, welche rein inhaltlich eben auf die Fläche eines Bierdeckels passen sollte. So hätte man den Gang in die Kneipe auch mal mit etwas wirklich Nützlichem verbinden können. Was aus der Idee geworden ist, weiß jeder selbst, der die Steuererklärungen von eigener Hand ausführt oder ausführen muss.

Lassen wir den Bierdeckel also lieber das tun, was er tun soll. Die Tropfen auffangen, oder ersatzweise die Fliegen, Wespen und andere Unannehmlichkeiten aus dem Glas aussperren. Prost!