LINDNER-Interview für die „Welt“

Berlin. FDP-Generalsekretär CHRISTIAN LINDNER gab der „Welt“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte DR. DANIEL FRIEDRICH STURM:

Frage: Herr Lindner, warum beginnt die Regierung erst jetzt zu regieren?

LINDNER: Es war falsch, dass wir Reformvorhaben nicht vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl begonnen haben. Dafür haben wir Federn lassen müssen. Wir zeigen aber jetzt, was unsere Wähler schon früher erhofft hatten: eine bürgerliche Politik, die sich von den Alternativen klar unterscheidet. Keine andere Koalition würde ein rationales Energiekonzept vorlegen, den Haushalt ohne breitflächige Steuererhöhungen entschulden oder den Sozialstaat neu ordnen.

Frage: Wird die Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes um fünf Euro zum Symbol einer Wende in der Regierungspolitik?

LINDNER: Die Sozialstaatsreform als Ganze steht für eine neue Richtung. Diese Debatte hatte im Frühjahr ja die FDP begonnen. Wir wollen bedürftige Menschen nicht länger mit staatlichem Taschengeld abspeisen. Deshalb arbeiten wir an neuen Zuverdienstmöglichkeiten, damit Bezieher von Hartz IV ihre Lebenssituation selbst verbessern können. Das ist zugleich eine Leiter zurück in den Arbeitsmarkt. Und wir fördern Kinder aus armen Familien, die von Rot-Grün vernachlässigt wurden. Das Urteil des Verfassungsgerichts müssen SPD und Grüne verantworten.

Frage: Greift der Staat nicht in das Leben seiner Bürger ein, wenn er den Empfängern von Hartz IV nicht einmal ein Glas Bier zubilligt?

LINDNER: Jede Entscheidung für oder gegen einen Teil des Warenkorbs muss man rechtfertigen. Und zwar auch gegenüber den Geringverdienern, die auf jeden Euro achten müssen. Genussmittel sind kein Teil des Existenzminimums. Wenn SPD, Grüne und Linke das anders sehen, sollen sie das bitte Krankenschwestern, Lagerarbeitern und Pförtnern erklären, die kein Geld vom Staat erhalten.

Frage: Die FDP lädt am Wochenende zu einem „Freiheits-Kongress“. Hans-Dietrich Genscher sagte einst, die FDP sei die Partei der Freiheit. Beanspruchen Sie damit ein Monopol?

LINDNER: Es mag auch in anderen Parteien Liberale geben. Wenn aber unterschiedliche Werte in Konkurrenz zu einander treten, ist die FDP die einzige Partei, die sich im Zweifel für die Freiheit entscheidet. Die anderen Parteien setzen eher auf Gleichheit und Sicherheit.

Frage: Fühlt sich die FDP in der Koalition umgeben von zwei etatistischen Partnern?

LINDNER: Das ist mir zu pauschal. Wir Liberale jedenfalls vertrauen zuerst den Menschen. Einen starken Staat brauchen wir, damit er Regeln für das Zusammenleben in Wirtschaft und Gesellschaft setzt. Beim staatlichen Zugriff auf Privatsphäre und Privateigentum sind wir aber reserviert, während das für andere Parteien zum Tagesgeschäft gehört.

Frage: Ist die von der Koalition beschlossene Luftverkehrsabgabe ein Kennzeichen liberaler Politik?

LINDNER: Koalitionen sind vom Kompromiss geprägt.

Frage: Bei Apothekern und Handwerkern ist die FDP nicht so liberal und marktwirtschaftlich wie sie sich gibt.

LINDNER: Was meinen Sie genau?

Frage: Etwa das Mehrbesitzverbot bei Apotheker oder Ihr Widerstand gegen die Liberalisierung der Handwerksordnung.

LINDNER: In beiden Fällen geht es um die Sicherung der Qualität für Kunden. Wir wollen beispielsweise, dass ein Pharmazeut Rezepte prüfen kann. Auch Missbrauch muss vermieden werden. Ich persönlich kann mir aber trotzdem eine stärkere Marktöffnung vorstellen.

Frage: Wie erklären Sie das derzeitige Umfragehoch der Grünen? Hat es damit zu tun, dass die Grünen als liberale Partei gelten?

LINDNER: Die Grünen sind eine optische Täuschung. Sie scheinen fortschrittlich, sind aber die Dagegen-Partei. Nein zu Wachstum. Nein zu Infrastruktur. Nein zu Kernenergie. Die Grünen sind für große Windkraftanlagen im Norden, bekämpfen dann aber die notwendigen Stromtrassen, um die Energie in den Süden zu bringen. Diese Illusionskunst gelingt natürlich nur einer Oppositionspartei.

Frage: Die Grünen regieren immerhin in Nordrhein-Westfalen …

LINDNER: … wo sich längst Katerstimmung breit macht. Da will die grüne Schulministerin das Gymnasium abschaffen, als ob es den Bürgerentscheid in Hamburg nicht gegeben hätte. Rot-Grün erhöht die Verschuldung des Landes um ein Drittel, damit die Linkspartei durch Sozialpopulismus eingekauft werden kann. Die Klientel von SPD und Grünen ist die Linkspartei. Für die machen die ihre Klientelpolitik. Die Haushaltskonsolidierung haben Frau Kraft und Frau Löhrmann dafür inzwischen auf etwa das Jahr 2100 verschoben.

Frage: Das heißt, bis mindestens 2050 wird es in NRW keine „Ampel“ geben?

LINDNER: Spaß beiseite. Wenn Rot-Grün so weiter macht, sehe ich da keine Perspektive.

Frage: Bei alldem: Die Grünen wirken sympathischer als die FDP. Sie haben ein besseres Image und können eher emotionalisieren, oder?

LINDNER: Nun ja, ich würde eher mit Philipp Rösler als mit Renate Künast ein Bier trinken gehen. Wir sprechen über die Ordnung des Zusammenlebens. Vom Staat erwarten Liberale eben gutes Recht und nicht gutes Geld. Das ist nüchterner als die Ideen von Claudia Roth, die immer schon weiß, welche Privatsachen der Staat besser kann.

Frage: Die FDP kommt vor allem sauertöpfisch daher, seitdem sie regiert.

LINDNER: Das waren schon knüppelharte Zeiten, in denen wir nicht täglich jubeln konnten. Der Liberalismus braucht Leute mit starken Nerven, hat Otto Graf Lambsdorff einmal gesagt. Da hatte er wohl Recht.

Frage: Hat Guido Westerwelle starke Nerven, wenn er darüber sinniert, ob er auf den Parteivorsitz verzichtet?

LINDNER: Das ist doch dementiert worden.

Frage: Recht wachsweich.

LINDNER: Nein, er hat über seine Zukunft nachgedacht und sich klar entschieden.

Frage: Haben Sie Westerwelle bestärkt, weiter zu machen?

LINDNER: Ich arbeite mit, dass die FDP unter der Führung von Guido Westerwelle wieder erfolgreich wird.

Frage: Noch einmal: Haben Sie Westerwelle bestärkt, weiter zu machen?

LINDNER: Er kann sich meiner Unterstützung sicher sein. Wenn jeder seine Pflicht tut, werden wir mit dem Team, in der wir jetzt arbeiten, etwas bewegen.

Frage: Vor ziemlich genau zehn Jahren hat der damalige FDP-Vorsitzende, das war Wolfgang Gerhardt, dem Generalsekretär, das war Guido Westerwelle, zu seinem Nachfolger vorgeschlagen. War diese Abfolge nicht ein Erfolgsmodell?

LINDNER: Sie lassen aber wirklich nicht locker.

Frage: Herr Brüderle scheint mit dem FDP-Bundesvorsitz zu liebäugeln.

LINDNER: Ist das Ihr Eindruck?

Frage: Ja. Auch von anderen, auch in Ihrer Partei.

LINDNER: Ich erlebe Rainer Brüderle als starken Teamspieler. Er hat als Bundeswirtschaftminister die Ordnungspolitik in Deutschland wieder belebt – Stichwort Opel. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat erreicht, dass seit unserem Regierungsantritt kein Sicherheitsgesetz auf Kosten der Freiheit verschärft worden ist. Dirk Niebel bringt mehr Effizienz in die Entwicklungspolitik und spart so 1500 Stellen. Philipp Rösler macht das Gesundheitssystem für die Zukunft stabil. Birgit Homburger fördert in der Fraktion viele Nachwuchskräfte. In diesem Team unter der Führung von Guido Westerwelle können wir uns neues Vertrauen erarbeiten.

Frage: Alles paletti, also?

LINDNER: Wir haben unserer Basis zugehört und mit enttäuschten Anhängern gesprochen. Wir haben aus Fehler Konsequenzen gezogen. Jetzt gehen wir wieder in die Offensive. Nicht aktionistisch, sondern mit geklärten Prioritäten und neuer Demut.

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