Berlin. FDP-Generalsekretär CHRISTIAN LINDNER gab dem SWR2 „Tagesgespräch“ heute morgen das folgende Interview. Die Fragen stellte MARION THEIS:
Frage: Die FDP will sich neu sortieren und neu finden. Ab morgen diskutiert sie über ein neues Grundsatzprogramm bei einem sogenannten Freiheitskongress. Herr Lindner, haben wir in Deutschland zu wenig Freiheit?
LINDNER: Wir haben in Deutschland ganz gewiss eine neue Konfliktlinie zwischen denjenigen, die sich für Freiheit einsetzen und anderen, die vor allen Dingen auf Sicherheit und Gleichheit vertrauen. Das Denken nur in den Kategorien von Sicherheit und Gleichheit nimmt unserem Land aber Chancen. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass in Veränderungen, dass in neuen Technologien und im Vertrauen auf den Einzelnen große Chancen in den nächsten Jahren liegen.
Frage: Was bedeutet denn dann Freiheit für Sie? Ist das die Freiheit der Banken, zu zocken, ohne dass sie durch eine Finanztransaktionssteuer gebremst werden, oder ist das die Freiheit der Energiekonzerne, ihre Atomkraftwerke noch viele Jahre weiter betreiben zu dürfen?
LINDNER: Nein. Freiheit heißt für uns, dass Menschen ihr Leben selbst in die Hand nehmen können. Die Freiheit des Einzelnen braucht einen handlungsfähigen Staat, der die Regeln für das Zusammenleben in Wirtschaft und Gesellschaft bestimmt. Es geht also um Ordnungspolitik, um es in einem Satz zu sagen.
Frage: Wir hatten in den letzten Wochen und Monaten eigentlich eher ein bisschen das Gefühl, die Bundesregierung regiert gar nicht so viel. Die Steuern werden nicht gesenkt, das ist klar bei dieser angespannten Haushaltslage, das kann man nachvollziehen. Auch von der FDP waren wenig eigene Ideen zu hören. Aber warum bemüht sich die FDP denn zum Beispiel gar nicht mehr, das Steuersystem zu vereinfachen?
LINDNER: Ich teile Ihren Eindruck nicht, sowohl was die Entlastung angeht – da haben wir ja einen Schritt gemacht in diesem Jahr…
Frage: Meinen Sie die niedrigeren Mehrwertsteuersätze für Hoteliers oder die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge?
LINDNER: Ich meine zum Beispiel die 4,6 Milliarden mehr durch die Erhöhung des Kindergelds. Oder ich meine beispielsweise, dass wir im Erbschaftsteuerrecht dafür gesorgt haben, dass Geschwister nicht mehr so behandelt werden wie Fremde. Das war ja die Hinterlassenschaft der großen Koalition.
Frage: Ihre Kritiker nennen das Klientelpolitik.
LINDNER: Ja, das nennen sie Klientelpolitik, wenn man das Kindergeld erhöht. Ich halte das für eine Stärkung der gesellschaftlichen Mitte in Deutschland, wenn man für Familien mit Kindern etwas tut.
Frage: Die Sozialverbände wollen mehr Geld in Schulen und in Kindertagesstätten, in Betreuung und in Infrastruktur, und Sie sagen, das macht gar keinen Sinn, das Kindergeld zu erhöhen. Das ist nur dazu da, um einen guten Eindruck bei den Wählern zu schinden. Was sagen Sie dazu?
LINDNER: Ich schau mir die Familien an, die ein kleines Einkommen haben, die pro Kind jetzt im Jahr 240 Euro mehr zur Verfügung haben. Das mögen die Kritiker genau diesen Familien, die sich überlegen müssen, ob sie in den Urlaub fahren oder nicht, in der Weise mal erzählen. Ich empfehle da, die Praxis zu betrachten.
Frage: Die Praxis sagt, das Geld fehlt in den Schulen und in den Kindergärten. Es gibt zu wenig Betreuer.
LINDNER: Aber Entschuldigung, wir machen doch gerade in dem Bereich auch ein ganze Menge. Gerade jetzt mit der Sozialstaatsreform erhöhen wir die Leistungen ganz konkret für die Kinder. Da gibt es jetzt 620 Millionen Euro zusätzlich, die gezielt für Kinder eingesetzt werden. Ich glaube, gerade diese Koalition muss sich mit Blick auf generationengerechte öffentliche Finanzen und das Engagement für Kinder, Familien, nichts vorwerfen lassen, sondern ganz im Gegenteil. Da haben wir einen Richtungswechsel in diesem Jahr schon erreicht.
Frage: Nochmals zu Ihrem Freiheitskongress. Warum braucht die FDP eine Programmdebatte? Weil sie in Umfragewerten nur noch bei fünf, sechs Prozent liegt?
LINDNER: Nein. Dass wir eine Grundsatzdebatte führen wollen, hat nichts mit konkretem Regierungshandeln sofort zu tun, sondern im Zuge einer solchen Debatte schauen wir nach vorne ins Jahr 2030 und müssen dann liberale Antworten finden, die nicht zuerst auf den Staat setzen, nicht zuerst auf umverteilende Maßnahmen, sondern Antworten finden, die die Freiheit des Einzelnen, seine Verantwortung stärken und die Innovationskraft in der Mitte der Gesellschaft freisetzt.
Frage: Es ist trotzdem sicher so, dass Sie sich versprechen, wieder mehr Freunde Ihrer Politik zu bekommen, denn es gibt ja viele FDPler an der Basis, die rebellieren. In manchen Fällen sind sie sogar aus der Partei ausgetreten. Wie wollen Sie die in der praktischen Politik, mit welchen Projekten, zurückgewinnen?
LINDNER: Wir haben eine ganze Reihe von politischen Projekten, die nur diese Koalition so umsetzen würde, nicht Rot-Rot-Grün und auch keine große Koalition. Rationale Energiepolitik, schlanke aber effiziente Freiwilligenarmee, Haushaltskonsolidierung ohne breitflächige Steuererhöhungen, und im nächsten Jahr auch eine spürbare Vereinfachung des Einkommensteuerrechts, an der wir gegenwärtig arbeiten, und wir schon über 60 einzelne Vorschläge haben, etwa die optionale zweijährige Veranlagung, dass man also auf Wunsch für zwei Jahre eine Steuererklärung abgeben kann. Das sind ganz konkrete Maßnahmen, mit denen wir zeigen, es macht einen Unterschied, dass die FDP Verantwortung trägt in einer Koalition, und es nicht ein anderes Regierungsformat gibt.
Frage: Im Moment sind die Grünen die Umfragekönige. Alle buhlen um sie. Meinen Sie, Herr Lindner, Ihr Freiheitskongress hilft, dass Ihre Partei als Partner wieder mehr nachgefragt wird?
LINDNER: Naja, also unser Freiheitskongress – ich hatte es ja schon ausgeführt – er hat keine tagespolitische Intention. Ein solcher Grundsatzprogrammprozess, der ja auf zwei Jahre angelegt ist, in denen wir debattieren wollen, wäre wertlos, wenn man ihn sofort mit Koalitionsüberlegungen belasten würde. Das ist nicht unsere Intention.
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