Vom kleinen Küstenort Analalava bis zur Insel Nosy Lava sind es 25 Kilometer durch die Bucht von Narida nördlich von Mahajanga.
Auf den ersten Blick sieht das acht mal sechs Kilometer große, fast unbewohnte Eiland tropisch schön aus, wie es vor der Küste liegt. Mit ihren weißen Kalksteinen und der savannenartigen kargen Landschaft erblickt man die Insel bereits vom Festland aus. Bei der Anfahrt nähert sie sich umgeben von türkisfarbenem Wasser und einem langen Sandstrand.
Die „Lange Insel“, wie Nosy Lava übersetzt heißt, hat jedoch eine besondere Geschichte, die aus der Kolonialzeit rührt und über die bis heute nur wenig bekannt ist.
Auf der Insel wurde 1911 ein Straflager errichtet und bis ins Jahr 2000 als Hochsicherheits-Anstalt mit bis zu 700 Inhaftierten genutzt.
Das Gefängnis wurde 1911 von der Französischen Kolonie in Betrieb genommen und diente als Straflager für politische Rebellen und Widerstandskämpfer gegen die Kolonialmacht. Die meisten Inhaftierten waren zu lebenslanger Haft oder zur Todesstrafe verurteilt.
Weder mit Madagaskars Erlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1960 noch nach der Demontage des sozialistischen Regimes in den 1980er Jahren wurde das Gefängnis geschlossen. Es waren weiterhin Menschen – teils noch mit Verurteilungen aus der Kolonialzeit – auf Nosy Lava inhaftiert. Und die Einrichtung erhielt weiter Häftlinge – Schwerverbrecher, Zebudiebe und viele andere.
Die Verwaltung konnte es sich mit der Zeit nicht mehr leisten, die Gefangenen mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Bis auf wenige Ausnahmen wurden sie daher in Halbfreiheit auf der Insel gehalten. Die Inhafrierten durften sich tagsüber frei auf der Insel bewegen, um selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Sie gingen fischen, bauten Maniok an oder brannten Toka gasy, den lokalen Rum. So entstand ein Tauschhandel mit den Bewohnern am anderen Ende der Insel. Nach und nach wurden Häftlinge von den Inselbewohnern auch als Mitbürger angesehen und ohne jede Gegenleistung unterstützt.
Im Laufe der Zeit wurde das Gefängnis und die Gefangenen von Nosy Lava vergessen. Es gab Gefangene, die ihre Strafe längst abgebüßt hatten, aber dennoch mangels Alternative auf der Insel blieben.
Erst der madagassische Journalist Rivoherizo Andriakoto hat in seiner Reportage mit dem Titel „Die Verdammten dieser Erde“ Informationen zum Gefängnis auf Nosy Lava vor und nach 1960 dokumentiert. Sie erschien im Jahr 1998 und wurde kurz darauf als gleichnamige Dokumentation verfilmt.
Der Film erhielt den französischen Albert Londres-Preis im Jahr 2000 und wurde in zahlreichen Ländern, so auch im madagassischen Nationalfernsehen ausgestrahlt. Dies sorgte für eine so große Aufruhr, dass der damalige Präsident Madagaskars, Didier Ratsiraka, gezwungen war, das Gefängnis zu schließen. Die meisten der noch auf der Insel Inhaftierten gehalten wurden freigelassen. Viele von ihnen waren eigentlich längst begnadigte Rebellen und Gefangene, die mehr als die zehnfache Zeit ihrer Verurteilung dort abgesessen hatten. Einige Schwerverbrecher wurden in andere Anstalten gebracht.
Das Gefängnis wurde offiziell im Jahr 2000 geschlossen.
Heute, im Jahr 2014, leben noch vier ehemalige Gefangene auf der Insel oder in Analalava und arbeiten vor Ort als Fischer, Wächter oder auch Guides für Touren auf Nosy Lava.
Sie sind frei, jedoch noch nicht offiziell begnadigt. Seit Jahren reichen sie, gemeinsam mit dem ehemaligen Gafängnis-Leiter von Analalava, ihre Anträge auf Begnadigung beim madagassischen Präsidenten ein.
Das weite Gelände des ehemaligen Gefängnisses reicht fast bis an den Strand. Die Ruinen dienen als Unterstand für Fischer. Der Anblick der Zellentüren, der hohen Mauern und des Verwaltungsgebäudes lassen die Geschichte lebendig werden.