Verurteilungen wegen Volksverhetzung

Karlsruhe (pressrelations) –

Verurteilungen wegen Volksverhetzung

verstoßen gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in
drei zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfahren
strafgerichtliche Verurteilungen wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs.
2 Nr. 1 Buchstabe b StGB aufgehoben und die Sachen an das
Ausgangsgericht zurückverwiesen.

Die Beschwerdeführer waren vom Amtsgericht Augsburg wegen des
öffentlichen Anschlagens volksverhetzender Schriften in Form des
Angriffs auf die Menschenwürde durch böswilliges Verächtlichmachen eines
Teils der Bevölkerung zu Geldstrafen verurteilt worden, weil sie als
Mitglieder des Vereins „Augsburger Bündnis – Nationale Opposition“ für
eine im Juni 2002 durchgeführte Aktionswoche großformatige Plakate mit
der folgenden Aufschrift entworfen und gestaltet hatten:
Aktion Ausländer-Rückführung
Aktionswochen 3. Juni – 17. Juni 2002
Für ein lebenswertes deutsches Augsburg
Augsburger Bündnis – Nationale Opposition

Die hiergegen eingelegten Rechtsmittel blieben sämtlich erfolglos. Mit
ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung
ihres Grundrechts der Meinungsfreiheit durch die angegriffenen
Entscheidungen.

Nach Auffassung der 1. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts verstoßen die strafgerichtlichen
Verurteilungen gegen die Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 1
GG.

Die Strafgerichte müssen den Sinn einer zu beurteilenden Äußerung
zutreffend erfassen und zudem auf der Ebene der Auslegung grundsätzlich
eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem durch die
Meinungsfreiheit beeinträchtigten Rechtsgut vornehmen. Zwar muss
gegenüber der Menschenwürde das Grundrecht der Meinungsfreiheit stets
zurücktreten. Soweit aber angenommen werden soll, dass der Gebrauch
eines Grundrechts die Menschenwürde beeinträchtigt, ist eine besonders
sorgfältige Begründung erforderlich. Ein Angriff auf die Menschenwürde
ist nur dann gegeben, wenn der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als
gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft
abgesprochen und sie als unterwertiges Wesen behandelt wird. Dem
entspricht es, dass die Strafgerichte bei der Parole „Ausländer raus“
nur unter Hinzutreten weiterer Begleitumstände von einem Angriff auf die
Menschenwürde ausgehen.

Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die
strafgerichtlichen Verurteilungen nicht.

Das Landgericht hat der Aussage auf dem Plakat einen Sinngehalt gegeben,
den das Plakat aus sich allein heraus nicht hat und der auch nicht
anderweitig durch die übrigen Ausführungen des Landgerichts in
verfassungsrechtlich tragfähiger Weise begründet wird. In dem von den
Beschwerdeführern entworfenen Plakat wird nicht die Minderwertigkeit von
Ausländern ausgesprochen wie zum Beispiel durch die pauschale
Zuschreibung sozial unerträglicher Verhaltensweisen oder Eigenschaften.
Eine solche Zuschreibung ergibt sich auch nicht aus der Bezeichnung
„Ausländer“ in dem Wort „Ausländer Rück-Führung“, das dem Begriffspaar
„deutsches Augsburg“ und „lebenswert“ gegenübergestellt wird. Die Worte
„Aktion Ausländerrückführung“ sagen dies ebenfalls nicht aus. Zwar macht
das Plakat unmissverständlich deutlich, dass die Initiative der
Beschwerdeführer Ausländer „rückführen“ will. Der Umfang und die Mittel,
ob nun beispielsweise durch Anreiz oder Zwang, werden jedoch nicht
benannt. Dem Plakat ist daher nicht ohne weiteres zu entnehmen, dass
Ausländer entrechtet oder zum Objekt gemacht werden sollen
beziehungsweise als rechtlos oder Objekt angesehen werden. Um zu einer
diesbezüglichen Deutung des Plakates zu gelangen, hätte das Landgericht
konkrete Begleitumstände benennen müssen, die dieses als unter den
Umständen einzig vernünftige Deutung hinreichend begründen. Derartige
Begleitumstände sind aus den Ausführungen des Landgerichts nicht
ersichtlich.

Das Landgericht hat auch auf eine Abwägung der widerstreitenden Belange
verzichtet, ohne diesen Verzicht zu begründen. Die bloße Behauptung,
dass der Plakattext mehr sei als eine Äußerung, die lediglich emotionale
Ablehnung ausdrücke, sowie das Abstellen darauf, dass sich der Angriff
nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte richte, sondern
undifferenziert sei, weil er sich auf alle in Augsburg lebenden
Ausländer beziehe, tragen die Qualifizierung des Plakattextes als
Menschenwürdeverletzung nicht. Ausgehend von dem Erfordernis einer
besonders sorgfältigen Prüfung für die Annahme einer
Menschenwürdeverletzung darf aus der Pauschalität einer verbalen Attacke
nicht ohne weiteres auf ein Verächtlichmachen geschlossen werden, das
den Betroffenen ihre Anerkennung als Person abspricht.

Auch die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, die im
Wesentlichen die Entscheidung des Landgerichts nur bestätigt, genügt den
Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG nicht, da es sich in einem einzigen
Satz mit der Feststellung begnügt hat, dass ein Angriff auf die
Menschenwürde vorliege, ohne dies näher zu begründen.

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