BRÜDERLE-Interview für die „Allgemeine Zeitung“
Berlin. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Präsidiumsmitglied RAINER BRÜDERLE, gab der „Allgemeinen Zeitung“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte REINHARD BREIDENBACH:
Frage: Herr Brüderle, der Euro gerettet, jedenfalls für diesmal. Alles wunderbar?
BRÜDERLE: Wir sind auf dem richtigen Weg mit dem, was in Brüssel beschlossen wurde. Ganz wichtig: Der Bundestag hat mit seiner breiten Zustimmung eine entscheidende politische Grundlage gelegt. Das ist ein sehr gutes Zeichen, dass die Fraktionen trotz unterschiedlicher Auffassungen die Kraft zu so viel Gemeinsamkeit haben.
Frage: Und nun, der Teufel im Detail?
BRÜDERLE: Wir haben endlich eine vernünftige Basis. Als die Probleme anfingen in Griechenland, hatten wir gar nichts. Jetzt haben wir mit der EFSF einen Notfallfonds mit einem geregelten Verfahren und klaren Auflagen. Es wird in Griechenland einen Schuldenschnitt geben. Ganz wichtig: Die Banken werden an den Verlusten, die sich aus den griechischen Staatsanleihen ergeben, beteiligt. Die EU ist handlungsfähig.
Frage: Aber es muss doch wohl noch mehr passieren. Wie steht es etwa mit dem Ruf nach einer mächtigen europäischen Wirtschaftsregierung?
BRÜDERLE: Wir brauchen mehr Koordinierung, aber keine zentralistische europäische Wirtschaftsregierung. Ich plädiere für einen Automatismus: Wenn ein Staat ökonomisch, vor allem bei der Verschuldung gegen die gemeinsamen Regeln verstößt, dann müssen Sanktionen kommen. Man sollte der Europäischen Kommission Durchgriffsrechte geben, wenn ein Staat über Jahre gegen die Regeln verstößt; das ist durchaus vergleichbar mit Regelungen im deutschen Kommunalrecht: Wenn eine Gemeinde auf lange Sicht schlecht wirtschaftet, kommt ein Staatskommissar. Wenn ein Staat Kredite haben will, muss er Sparauflagen erfüllen. Wichtig ist, dass ein Frühwarnsystem greift, wenn ein Staat ökonomisch auf die schiefe Bahn gerät.
Frage: Und die Griechen werden jetzt ein bisschen deutscher und steigen zum Sparweltmeister auf?
BRÜDERLE: Um langfristig wettbewerbsfähig zu sein, brauchen die Griechen vor allem Strukturreformen und eine funktionierende Infrastruktur. Die Griechen haben es selbst in der Hand, sich entweder an die Regeln zu halten und dann auch Unterstützung zu bekommen oder einen eigenen Weg zu gehen.
Frage: Das klingt hart.
BRÜDERLE: Die Griechen machen schon jetzt harte Einschnitte, kürzen zum Beispiel bei den Pensionen. Weitere massive Einschnitte stehen noch aus. Die sind auch nötig. Aber dafür verdienen die Griechen unseren Respekt.
Frage: Wird Italien der nächste Sozialfall?
BRÜDERLE: Wir dürfen Italien nicht unterschätzen und mit Griechenland in einen Topf werfen. Italien hat vor allem im Norden eine starke Industrie und wahrscheinlich mehr Vermögen und Wohlstand als Deutschland, wenn man die Statistiken richtig liest. Aber Italien hat derzeit einige Defizite, was das Regierungshandeln angeht. Ich hoffe, dass sich das jetzt ändert.
Frage: Das ist sehr vornehm ausgedrückt. Nach Deutschland: Müssen wir noch Angst vor Währungsreform, Inflation, Rezession haben oder davor, dass der Steuerzahler bluten muss, weil die Banken jetzt ihre Eigenkapitalquote erhöhen?
BRÜDERLE: Ich gehe davon aus, dass die deutschen Banken das aus eigener Kraft schaffen. Nach zwei Währungsreformen in der Geschichte bringt Deutschland seine Sensibilität für Währungsstabilität als Mitgift in die EU ein, und das ist außerordentlich wichtig. Ich sehe derzeit nicht die Gefahr einer Rezession, schon gar nicht einer Währungsreform. Aber wir müssen alles tun, damit der Euro stabil bleibt. Inflation wäre sozialpolitisch die größte Ungerechtigkeit, weil Inflation Menschen trifft, die nicht ausweichen können auf Immobilien oder Vermögen im Ausland. Soziale Gerechtigkeit setzt Geldwertstabilität voraus.
Frage: Die Kanzlerin wird jetzt gelobt. Kann sich in diesem Gefolge auch die FDP aus ihrem Drei-Prozent-Umfrage-Loch herausarbeiten?
BRÜDERLE: Wir werden mit Kärrnerarbeit, seriös und beharrlich das Vertrauen der Menschen wieder zurückgewinnen.
Frage: Und die Menschen wundern sich nicht, dass derweil der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler auf dem Weg über eine Mitgliederbefragung den ganzen schönen Euro-Rettungsschirm in den Müll befördern möchte?
BRÜDERLE: Alle in der FDP-Spitze, auch ich, sind anderer Auffassung als Herr Schäffler. Wir alle wollen ein stabiles Europa, sind uns aber mit Herrn Schäffler nicht einig über den Weg dorthin. Das diskutieren wir intensiv mit unseren Mitgliedern auf rund 100 Veranstaltungen. Diesen Dialog führt keine andere Partei. Insofern sehe ich den Diskussionsprozess positiv.
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