Rede von Werner Faymann beim außerordentlichen Bundesparteitag der SPD am 26.09.2010

Rede des österreichischen Bundeskanzlers und Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) Werner Fayman beim außerordentlichen Bundesparteitag der SPD

am Sonntag, dem 26. September 2010,
in der STATION, Berlin

– Es gilt das gesprochene Wort –

Mir ist während der Reise zu Euch in Erinnerung gekommen, dass auf dem ersten Parteitag in Österreich, an dem ich teilgenommen habe, vor etwa 30 Jahren, Willy Brandt und Bruno Kreisky gesprochen haben. Liebe Freunde, wisst Ihr, warum sich das bei mir so eingeprägt hat? Weil ich schon damals sehr stolz darauf war, dass unsere Genossinnen und Genossen für Verteilungsgerechtigkeit, für über Arbeitnehmerrechte gesprochen haben und dabei für Wertehaltungen gestanden haben, die bis heute nichts an
Aktualität eingebüßt haben.

Willy Brandt und Bruno Kreisky, die sich bekanntlich sehr gut verstanden haben, haben auch immer zur Geltung gebracht, dass man auf diese Sozialdemokratie stolz sein kann, weil sie eine europäische, eine internationale Bewegung ist. Liebe Freunde, das müssen wir wieder stärken, in einer Zeit, in der wir alle genau wissen: Antworten sind unverzichtbar im eigenen Land in sozialen Fragen, in Fragen der Fairness und Gerechtigkeit! Der Kampf im eigenen Land für Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit ist
eine vordringliche Aufgabe. Aber ohne diesen europäischen und internationalen Geist hat die Sozialdemokratie keine Chance, das auch wirklich umzusetzen.

Wenn wir uns in der Europäischen Union zu einer Vorbesprechung der regierungsverantwortlichen Sozialdemokraten treffen, dann sind wir fünf von 27. Liebe Freunde, das kann doch nicht sein in einer Zeit, in der die Gier, die Spekulation die internationalen Finanzmärkte zusammen brechen haben lassen, was uns in die größte Wirtschaftskrise seit 1945 in Europa geführt hat, in einer Zeit, in der die Armut angestiegen ist, während andere noch ihren Bonus in Sicherheit gebracht haben, in einer Zeit, in der
die prekären Arbeitsverhältnisse von Menschen rasant mehr werden, in der Menschen den ganzen Tag arbeiten, aber nicht davon leben können! Dann müssten doch wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten von Wahlsieg zu Wahlsieg eilen! Denn das haben doch schon unsere Mütter und Väter gesagt, dass eine Wirtschaftsordnung, die auch nicht Regeln kennt, eine Wirtschaftsordnung, die nicht Verteilungsgerechtigkeit kennt, von uns erkämpft werden muss und eine Wirtschaftsordnung, die nur mehr die Spekulation
kennt, von uns bekämpft werden muss!

Daher stellt sich doch die Frage: Wieso eilen wir nicht überall in Europa von Wahlerfolg zu Wahlerfolg, wenn die Mehrheit in der Bevölkerung sagt „Jeder Mensch ist gleich viel wert, jeder muss dieselben Chancen bekommen“ Chancengerechtigkeit beginnt bei der Bildungspolitik im Vorschulalter, zieht sich durch die Fragen der gemeinsamen Schule in der Bildungspolitik bis hin zu den Chancen auf den Universitäten. Es zieht sich durch alle Themen der Gesundheitsreform, wobei niemand vom Fortschritt
ausgeschlossen sein darf, den wir alle so preisen, und jeder unabhängig von seiner Brieftasche die besten Leistungen bekommen soll, bis hin zu einem respektvollen Umgang mit Menschen im Alter, die nicht davor Angst haben sollen, wie sie sich im Alter ihren Lebensunterhalt leisten können oder eine Pflegeeinrichtung bezahlen? Das alles sind doch Wertehaltungen, die eine breite Mehrheit in der Bevölkerung in Europa haben.
Wir werden mit glaubwürdiger Politik, mit gemeinsamer Anstrengung und mit Geschlossenheit Erfolg haben. Das heißt nicht, dass man innerhalb einer gesellschaftskritischen Partei nicht unterschiedlicher Meinung sein darf. Aber die Leute müssen es wahrnehmen, so dass jeder, den du fragst, egal ob in Deutschland, in Österreich, in Frankreich oder Italien, sagt „Ja, es sind die Sozialdemokraten, die nicht zuschauen, dass jetzt die Wirtschaftskrise ist noch nicht vorbei wieder dieselben mit den gleichen
Sprüchen das gleiche an Spekulation errichten.

Wir werden nicht dabei zuschauen, wenn wieder all jene Mechanismen, die uns in die Krise geführt haben, neu aufgebaut werden. Wir werden nicht zuschauen, dass die, die uns erklären: „Den Staat braucht man nicht“, uns vergessen lassen wollen, dass es der Staat und die Steuerzahler waren, die Banken retten mussten, Finanzmärkte wieder in Ordnung zu bringen hatten und als Erster da war, als die Wirtschaft Hilfe benötigt hatte. Ja, wir sind für einen Staat, der sparsam wirtschaftet. Wir sind für eine
Leistungsgesellschaft, in der gemeinsam etwas erwirtschaftet wird. Aber wir sind auch dafür, dass das alles dann gerecht verteilt wird – und nicht: gemeinsame Leistung mit Gewinnen für ein paar wenige!

Wir sollten deswegen auch unser Volksbegehren, unsere Bürgerinitiative, eine Entscheidung der Bürger vorbereiten, die sagt: Am Ende dieser Wirtschaftskrise können doch nicht die Trümmer weggeräumt werden, indem Budgetkonsolidierung bedeutet, dass die Armen noch ärmer und die Reichen noch reicher werden! Das kann doch nur der falsche Weg in die Zukunft sein!

Nachhaltige Wirtschaftspolitik, die auch einen sozialen Ausgleich kennt, muss doch spürbar für den Einzelnen die gleichen Chancen in einer Gesellschaft ermöglichen, in der die Schlüsselelemente Bildung und Forschung das Wachstum unterstützen. Wenn wir gemeinsam etwas erwirtschaften, dann sollten auch alle das Gefühl haben: Es geht fair zu.
Aber Reich und Arm klaffen auseinander. Die Mittelschichten werden stärker bedroht, die Armen werden mehr, und es ist unsere Aufgabe, liebe Freundinnen und Freunde, das umzudrehen. Das ist eine harte Arbeit! Wir stehen Hunderten von Lobbyisten gegenüber, die das Gegenteil vorhaben. Wir stehen einer klaren Mehrheit konservativer Regierungschefs in Europa gegenüber, die das Gegenteil vorhaben. Und die haben auch ich kenne eure Parteikasse nicht, aber ich kenne meine ein bissel mehr in der Kasse als
wir. Aber, liebe Freunde, was wir haben, ist eine Politik für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die auf fairen Chancen aufbaut!

Was wir haben, ist das Bild einer Gesellschaft, die gerecht ist. Daraus, liebe Freunde, müssen wir auch die Kraft schöpfen, stärker zu werden als die Lobbys, die nur auf Geldmittel in ihren Wahlkämpfen setzen oder die Tausende Lobbyisten bezahlen, um Europaparlamentarier zu beeinflussen. Liebe Freunde, unsere Lobbys sind jene Menschen, die auch über die Parteigrenzen hinweg einfach nicht zuschauen, dass diese Gesellschaft nichts aus der Krise lernt, die nicht zuschauen, dass diese Welt, die in vielen
Bereichen ungerechter nicht sein könnte, noch ungerechter wird. Nein, wir sind hier in einem Bündnis mit vielen NGOs und vielen Menschen der Zivilgesellschaft, die unzufrieden sind und sagen: Ändert die Regeln, schafft mehr Gerechtigkeit!

Das zieht sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche hindurch. Die Atomenergie ist ein Beispiel dafür, wo wir Seite an Seite SPÖ, SPD und viele andere zu Recht sagen: Die Atomenergie ist doch keine nachhaltige Energienutzung für die nächsten Generationen!
Das einzig Nachhaltige an der Atomenergie ist doch das nachhaltige Risiko.

Denjenigen, die uns gesagt haben „Das alles kann man technisch beherrschen, Endlager von Tausenden, ja Zigtausenden von Jahren sind gar kein Problem“, haben wir gerade bei der so genannten Beherrschbarkeit zugeschaut, als sie nicht einmal gewusst haben, wie sie eine Ölkatastrophe wieder in den Griff bekommen! Das sind doch dieselben Leute, die uns von der Sicherheit der Atomkraftwerke erzählen!

Deshalb, liebe Genossinnen und Genossen, halte ich mich an die vorgegebene Redezeit, weil ich so gerne bei euch eingeladen werde und wieder zu euch kommen möchte – als Freund, als jemand, auf den ihr euch verlassen könnt, so wie ich mich auf euch verlasse und euch alles erdenklich Gute in eurer Arbeit wünsche!
Wir gemeinsam haben eine Menge zu tun. Wir wissen, es ist die richtige Zeit. Man spürt bei euch diesen Aufbruch. Den brauchen wir. Alles Gute, nur das Beste für euch, alles Liebe und Freundschaft!

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