WESTERWELLE-Interview für die „Saarbrücker Zeitung“
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der „Saarbrücker Zeitung“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte WERNER KOLHOFF und HAGEN STRAUSS:
Frage: Schwarz-Gelb hat einen Stolperstart hingelegt. Woran hat es gelegen?
WESTERWELLE: Ihre Wortwahl mache ich mir ausdrücklich nicht zu eigen. Dass es am Anfang einer neuen Koalition einen gewissen Synchronisierungsbedarf gibt, ist doch klar. Gleichwohl haben wir in Rekordzeit das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und die Beseitigung der gröbsten Ungerechtigkeiten bei Hartz IV durchgesetzt. Das ist eine starke Leistung.
Frage: Dafür bekommen Sie aber wenig Lob. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz wird von allen Seiten kritisiert.
A.: Es gibt genauso viel kluge Stimmen, die anerkennen, wie notwendig es ist, genau jetzt den Mittelstand zu stärken, Familien zu entlasten und Kaufkraft zu schaffen. Nur über Wachstum kommen wir aus den Schulden raus.
Frage: Als Oppositionsführer hätten Sie eine Regierung, die 100 Milliarden neue Schulden aufnehmen muss, in Grund und Boden gestampft.
WESTERWELLE: Die letzte Regierung hat das Geld General Motors hinterher geworfen oder in die Abwrackprämie gesteckt. Wir hingegen investieren das Geld in eine Entlastung der Bürger, besonders der Mittelschicht, in Bildung und Forschung.
Frage: Wo bitteschön kurbeln eine Milliarde Euro für Hotelbesitzer die Konjunktur an?
WESTERWELLE: 22 von 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter fast alle unsere Nachbarstaaten, haben den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Hoteldienstleistungen. Für die deutsche Tourismuswirtschaft ist das eine Wettbewerbsverzerrung, die wir jetzt beseitigen. Und vor allem in grenznahen Regionen ist es ein Wachstumsfaktor.
Frage: Aber ein sehr schwacher.
WESTERWELLE: Nur in Deutschland muss man sich für Steuerentlastungen entschuldigen. Diese Debatte zeigt doch, wie sehr sich die veröffentlichte Meinung und mancher Intellektuelle von den Bürgern entfernt hat.
Frage: Steuersenkungen auf Pump und die Schuldenbremse im Grundgesetz passen intellektuell einfach nicht zusammen.
WESTERWELLE: Diese Legislaturperiode muss in zwei Phasen aufgeteilt werden. Eine erste, wo es um Impulse für den Konsum und den Mittelstand geht, damit wir wieder Wachstum bekommen, als Voraussetzung für gesunde Staatsfinanzen. Und dann eine zweite Phase, in der wir den strengen Konsolidierungskurs fortsetzen müssen. Wir setzen auf Dynamik und Wachstum. Im Jahr 2013 werden die Bürger bei der Wahl dann beurteilen können, wer richtig gelegen hat.
Frage: Verraten Sie dem Bürger doch bitte lieber schon jetzt, wo in Phase zwei gespart wird. Warum machen Sie daraus so ein Geheimnis?
WESTERWELLE: Wir wissen nicht, wie die Rahmenbedingungen für den Haushalt 2011 sein werden. Das müssen wir abwarten, weil sie von Wachstumsraten und der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt abhängen.
Frage: Zurück zum Stolperstart der Koalition: Der Fall Jung war keine Attacke von außen.
WESTERWELLE: In dieser Sache hat der Deutsche Bundestag einen Untersuchungsausschuss einberufen. Gerade die Regierungsfraktionen sind an umfassender Aufklärung interessiert. Denn wir wollen nicht, dass der Einsatz in Afghanistan, der unserer Sicherheit dient, an Akzeptanz verliert.
Frage: Karl-Theodor zu Guttenberg nennt die Bombardierung der Tanklaster inzwischen „nicht angemessen“. Wie ist Ihre Auffassung?
WESTERWELLE: Die Beurteilung eines militärischen Vorgangs ist Sache des zuständigen Ministeriums und des zuständigen Ministers.
Frage: Ist das ein Kriegseinsatz oder nicht?
WESTERWELLE: Ich habe Verständnis dafür, wenn Soldaten im Einsatz das als Krieg empfinden. Als Außenminister muss ich meine Worte jedoch sehr genau wägen. Krieg ist der bewaffnete Konflikt zwischen zwei Ländern. Das ist in Afghanistan nicht der Fall. Die internationalen Truppen sind dort, weil die übergroße Mehrheit der Bevölkerung und die Regierung uns darum gebeten haben.
Frage: Der Bundeswehrverband fordert eine schnelle Klärung für die Soldaten, denn die müssen wissen, ob ihr Handeln unter das Völkerstrafrecht fällt oder unter das deutsche Strafgesetzbuch.
WESTERWELLE: Das ist eine sehr komplizierte Rechtsfrage, die derzeit die Bundesanwaltschaft beschäftigt. Unabhängig davon bin ich der Auffassung, dass es vernünftig wäre, eine fachlich zuständige Sonderstaatsanwaltschaft für die Soldaten zu bilden, um die Rechtssicherheit zu erhöhen. Wir haben das im Koalitionsvertrag vereinbart und sollten das jetzt sehr schnell umsetzen.
Frage: Präsident Obama fordert von den Alliierten mehr Soldaten. Wird Deutschland dem zustimmen?
WESTERWELLE: Das Militär muss den zivilen Aufbau unterstützen, aber es kann ihn nicht ersetzen. Es wäre grundfalsch, die Diskussion allein auf Truppenstärken zu reduzieren. Wir haben die Obergrenze unseres Kontingents im letzten Jahr von 3500 auf 4500 Soldaten ausgeweitet. Wenn die Afghanistan-Konferenz Ende Januar eine reine Truppenstellerkonferenz werden würde, bräuchte man nicht hinzufahren. Es geht vielmehr um einen breiten politischen Ansatz, um realistische Ziele und die richtige Strategie. Gemeinsam mit der afghanischen Regierung müssen wir dafür sorgen, dass in den nächsten Jahren eine Abzugsperspektive entsteht. Deutschland ist bereit, beim zivilen Aufbau, insbesondere bei der Ausbildung der Polizei, mehr zu tun.
Frage: In Schulnoten: Wie bewerten Sie das Ergebnis von Kopenhagen und warum?
WESTERWELLE: Natürlich hätte ich mir mehr gewünscht. Es waren extrem schwierige Verhandlungen. Die Bundeskanzlerin und der Umweltminister haben eine sehr konstruktive Rolle gespielt. Gut ist das gemeinsame Bekenntnis, den Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen. Noch sehr viel klarer muss der Weg dahin beschrieben werden. Da sind wir noch lange nicht am Ziel.
Frage: Welche Bedeutung hat nun die Konferenz in Bonn im nächsten Jahr? Ist ein globales Klimabkommen noch möglich?
WESTERWELLE: Wir müssen weiter dafür arbeiten. Hier geht es um unsere gemeinsame Zukunft. Bonn wird hoffentlich ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Europa wird weiter eine Vorreiterrolle spielen. Erfolg können wir aber nur haben, wenn alle Länder mitziehen. Europa kann das Weltklima nicht allein retten.
Frage: Die Konferenz hat gezeigt, dass sich die Gewichte in der Welt entscheidend verschoben haben. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus dem Verlauf für Ihre Außenpolitik?
WESTERWELLE: Man hat gesehen, welche wichtige Rolle China, Indien, Brasilien und andere große Schwellenländer spielen. Wir müssen Wege finden, die großen Zukunftsfragen mit ihnen zu lösen. Ohne sie geht es nicht.
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