Wulffs Rücktritt – Konsequenzen für den Rechts- und Verfassungsstaat

Darf ein Staatsanwalt über einen Bundespräsidenten “richten”?

Brüssel, 23.02.2012, COA. Ist das vom Bundespräsidenten Wulff so engagiert zur Modernität ermutigte Deutschland über Nacht in der Post-Moderne angelangt? Schafft jetzt die Rechtsordnung als Schutzmechanismus der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und damit das politisch-institutionelle System sich selbst von unten ab?

Der Rücktritt des von der Bundesversammlung mehrheitlich gewählten Bundespräsidenten Wulff war sehr ehrenhaft, weil er gegenüber seiner persönlichen Rechts- und Gerechtigkeitsauffassung dem Staatswohl eindeutige Prorität einräumte. Sein Rücktritt war somit natürlich auch eminent politisch.

Denn damit hat er vor allem die grundsätzliche Frage aufgeworfen: Darf ein Bundespräsident während seiner Amtszeit für “vorangegangenes Tun” in Haftung genommen werden? Und: Ist die Immunität des deutschen Staatspräsidenten reine Formsache und dem Belieben staatsanwaltlicher Ermittlung zu überlassen?

In ihrer Reaktion auf Wulffs Rücktritt wies Merkel auf den funktionierenden Rechtsstaat hin. Dennoch: Deutschland ist mehr, eben vor allem ein Verfassungsstaat. Das konstitutionelle Gefüge der Verfassungsorgane und ihre abgestimmte Machtballance lebt insbesondere von der Souveränität der politisch-institutionellen Akteure. D. h. vor allem für den Bundespräsidenten, seine Amtsführung nicht als Systemagent, sondern als Prinzipal zu begreifen und nutzen zu können, wie dies gerade Wulff speziell in seiner Rücktrittsansprache bewies.

Michael Heynen, Politikberater in Brüssel, plädiert daher für eine demenstprechende Änderung der Gesetzeslage oder jedenfalls für die eindeutige Klärung ihrer Anwendung: Die Immunität des Bundespräsidenten ist nur dann aufzuheben, wenn er in seiner (aktuellen) Amtfsührung ethisch und rechtlich versagt. Bei Wulff war dies ganz klar nicht der Fall.